Schattenwelten

Taiwan ist vielseitig. Bis dato habe ich Taiwan ja größtenteils von seiner Regenbögen-und-Ponyhof Seite beschrieben mit einem Hauch von Invasion. Heute wollen wir also Mal einen Blick unter den Teppich der Gesellschaft werfen und jene sozialen Wollmäuse erforschen, die dabei zum Vorschein kommen.

Taiwan ist eine doch recht junge Demokratie und hat immernoch mit gewissen Überbleibseln aus seinen autokratischen Jungendtagen zu kämpfen. Zwar hat man den Personenkult um Chiang Kai Shek elegant überwunden, aber es hilft halt nicht, wenn die ehemalige Partei des Diktators weiterhin eine der zwei großen Parteien ist. In Deutschland hatte die SED ja immerhin den Anstand sich umzubenennen. Die Kuo Ming Tang bestehen unter anderem noch, weil viele der Immobilien die sich die Partei damals selber geschenkt hat weiterhin in Parteibesitz sind und damit das Funding gesichert ist. Die Konservativen sehen damit auch gar kein Problem, aber Konservative sehen allgemein oft nur selbst ausgedachte Probleme…

Ein weiteres Überbleibsel der Diktatur ist die Bandenkriminalität. Die ersten Gangs kamen mit der japanischen Besatzung Anfang des 20. Jhd und blieben nach dem chinesischen Bürgerkrieg auf Taiwan. Es gab in den 50ern einzelne Initiativen zur Eingrenzung der Bandenkriminalität, aber die KMT Funktionäre waren viel zu tief mit drinnen, als das sich irgendwas großartig getan hätte. Das ging soweit, dass die größeren Triaden teilweise mit Freibrief der Regierung als Schattenexekutive agierten. Mit dem langsamen Übergang zur Demokratie in den 80ern und 90ern verloren auch die alten Banden an Einfluss. Zwar ist vor allem das illegale Glücksspiel noch in festen Händen, aber was will man machen.

Glücksspiel ist ein eigenes Thema für sich und hat im asiatischen Raum eine lange Tradition. Eines der beliebtesten Formen war eine Glücksspiel Version von Memory. Die kollektive Spielsucht ging zeitweise so weit, dass das Spiel 1896 verboten wurde, als die Beschaffungskriminalität überhand nahm. Das Verbot selber führte für sich nochmals zu weiteren sozialen Unruhen. Die Kontrolle des Glücksspiels war also immer eine gewisse Gradwanderung, was der Hauptgrund für die Verstaatlichung war. Entsprechend gibt es heutzutage an jeder zweiten Straßenecke eine staatliche Lotterie, wo auch Sportwetten angenommen werden und auch wenn es so viele davon gibt, sie sind immer gut gefüllt. Illegales Glücksspiel im kleinen Maßstab findet man auch in jedem Straßenzug, mit nachbarschaftlichen Mahjong Runden. Mahjong ist die chinesische Version von Räuber-Rommé und wird passioniert gespielt wie Schafkopf und Arschloch auf dem Schulhof. Es ist gesetzlich untersagt, mehr als einen Mahjong Tisch pro Haushalt zu besitzen, damit sich das alles im Rahmen hält. Glücksspiel im größeren Maßstab ist wieder in Triaden-Kontrolle, aber die Casinos agieren ganz offen und mit Außenreklame. Die Krux an der Sache ist, dass nicht um Geld, sondern um Token gespielt wird. In der Nähe der Casinos befinden sich dann aber “Pfandhäuser” die sich mit Token bezahlen lassen. Nun will natürlich das illegal verdiente Geld auch gewaschen werden und eine Hauptmethode hierfür sind Claw Machinen.

Man findet die Claw-Machines ebenfalls in jedem Straßenzug und es sind bei weitem nicht alle Zwielichtig. Die eine Hälfte der Claw-Maschinen ist auf keinen Fall zum Geldwaschen, die andere Hälfte ist aber auf jeden Fall zum Geldwaschen.

Um die Geldwäscherei allgemein einzuschränken, und um dafür zu sorgen, dass Geschäfte ihre Umsatzsteuer brav bezahlen, gibt es eine rigorose Kassenzettelpflicht in Taiwan. Auf jeden Kassenzettel ist eine Nummer und alle zwei Monate gibt es die staatliche Kassenzettelloterie mit bis zu 300.000€ im Pott. Ich habe aber bis dato noch niemanden getroffen, der jemals mehr als 15€ bei der Kassenzettelloterie gewonnen hätte, aber naja, immerhin.

Gehen wir weiter im Text und kommen zu Drogen. Das Trauma der Opiumkriege besteht sowohl in China, als auch in Taiwan, bis heute fort. Alkohol ist super teuer, Zigaretten uncool und Betelnuss ist auch nur für arme Leute. Wer nach Taiwan reist, der wird bei der Visa Anmeldung freundlich darauf hingewiesen, dass in Taiwan Drogenschmuggel mit dem Tode bestraft wird. Man sieht also, in Taiwan herrscht kein chill. Naja fast nicht. So wie andere Hyperleistungsgesellschaften im asiatischen Raum hatte auch Taiwan in den 80ern seine eigene Speed und Meth Epidemie, was sich aber auch mit dem Wechsel von der 6 zur 5-Tage Woche erledigt hatte. Was Konsumieren also “die coolen Kidz” in den Clubs in Taiwan? Die Antwort ist Traditionelle Chinesische Medizin. In der Nähe von Clubs findet wer sucht diverse TCM Apotheken und all diese Apotheken bieten ein bestimmtes Produkt an: Wurzelrindenpulver der Acacia Confusa. Das Zeug enthält den selben Wirkstoff wie Ayahuasca und kann mit Materialien aus dem 7/11 aufgereinigt werden. Das ist natürlich weder gesund noch empfehlenswert, aber das war noch nie ein Ausschlussgrund für dumme Teenager.

Dumme Teenager ist ein gutes Stichwort, eine größere Taiwanesische Streamerin wurde letzte Woche mit 3 Gramm Cannabis erwischt und es hat für einen nationalen Aufschrei gereicht. Es hat auch keine 24 Stunden gedauert, bis alle Produkte mit ihrem Gesicht drauf aus den Supermärkten verschwunden waren.

Der nächste gesellschaftliche Abgrund betrifft die Verkehrssicherheit. Taiwan ist nur ein Drittel so groß wie Großbritannien, hat aber 3 mal mehr Verkehrstote. Es ist schwer zu beschreiben wie viele Motorroller es in Taiwan gibt, aber es ist konservativ geschätzt, dass sie Autos im Verhältnis 25 zu 1 überlegen sind.

Zumindest trägt jeder einen Helm, aber Knautschzone hat man trotzdem keine. Die meisten Straßen haben eine oder zwei Spuren und eine halbe Roller Spur ganz rechts. Nun nutzen aber vorallem dicke SUVs die Rollerspur ganz gerne zum zeitweisen parken, Busse benutzen sie zum be- und entladen der Fahrgäste, elektrische Rollstühle und Fahrräder benutzen sie auch, und sowieso muss ein jeder, der rechts abbiegt, über die Rollerspur drüber. Die Motorroller fahren also zwangsläufig Slalom und es reicht ein unaufmerksamer Autofahrer für einen Fünffachmord.

In den 80ern und 90ern war die Situation aber wohl noch deutlich schlimmer, weil auch deutlich mehr Baumaschinen im Stadtverkehr unterwegs waren… damals in den Zeiten vor der wirtschaftlichen Stagnation. Jedenfalls hatte Taiwan ein massives Handelsdefizit mit Japan und die Einfuhr von unteranderem Baumaschinen aus Japan wurde eingeschränkt, darunter auch Muldenkipper, also die klassischen Kiestransporter. Das führte dazu, dass die bestehenden Lastwagen rund um die Uhr fuhren und grundsätzlich um mehrere Tonnen überladen wurden. Natürlich kam es zu jede Menge Bremsversagen und Unfällen. Es bedurfte erst den Unfalltod einer Schülerin, die von einem Muldenkipper erfasst wurde, um einen medialen Shitstorm zu generieren. Die Regierung kündigte umgehend strengere Kontrollen des taiwanesischen Kiestransport Geschäfts an…und die Kiestransporter gingen in den Streik. Es dauerte keine 24 Stunden, bis die Regierung sich offiziell entschuldigte und alles weiter ging wie gehabt.

Allgemein wird in Taiwan bei auch tödlichen Verkehrsunfällen oft nur sehr milde Strafen angebracht. In der taiwanesischen Rechtssprechung existiert nämlich noch der Glaube ans Schicksal, sprich, wenn einseitige Fahrlässigkeit im Spiel war, die aber zu extremen Folgen geführt hat, dann war da das Schicksal mit im Spiel und dem Shit Happens Prinzip folgend…ist’s halt so…kann man nix machen…Wer aber zum Beispiel mit Alkohol am Steuer einen Unfall baut, der bekommt die volle härte des Gesetzes, denn dann war kein Schicksal im Spiel, sondern Alkohol.

Diesen Sommer bekam Taiwan einen unwahrscheinlichen Helden. Zwar sind Zebrastreifen eine Sache…aber sie werden liebend gerne von Fahrern teuerer Automobile als Parkplatz genutzt. Ein Mann in Taipei hatte davon die Schnauze voll, stieg auf das auf dem Zebrastreifen stehende Auto drauf und trat die Windschutzscheibe ein. Dabei brach sich unserer Held das Bein. Zwar musste der Mann für die Windschutzscheibe aufkommen, der Fahrer des illegal geparkten Autos aber muss Schmerzensgeld zahlen und bekam eine Geldstrafe dafür dass sein stationäres Auto, in dem er nicht drinnen saß, jemanden “angefahren” hat. Die Begründung ist einfach, das Auto hatte nichts auf dem Zebrastreifen zu suchen und das hat zu einem Unfall geführt. Die breite Bevölkerung feierte sowohl den Scheibentretter als auch das Urteil und tatsächlich sieht man seit dem deutlich weniger Autos auf dem Zebrastreifen.

Als letztes Thema will ich noch Spionage und Braindrain ansprechen. In Taiwan sind die Löhne gering und die Aufstiegschancen eher so meh…aaaaaber der große böse Nachbar China hat ein riesen Intresse an taiwanesischen Ingenieuren und jedem der auch nur irgendwie was mit der Chip Industrie am Hut hat. Aber auch Militärspionage ist ein riesen Problem, vorallem seit Taiwan angefangen hat seine eigenen Racketen und U-Boote zu bauen. Dieses Jahr hat Taiwan sein erstes heimisch produzierte U-Boot fertiggestellt und es hat weniger als einen Tag gedauert, bis sich ein Überläufer mit den Plänen in Beijing eingefunden hat. Für den untreuen Ingenieur winkt eine saftige Prämie, ein Visum und ein Job auf dem Festland und weil Taiwan kein Schurkenstaat ist, kann der Ingenieur auch sicher sein, dass seiner Familie nichts angetan wird. Das alte Problem eines funktionierenden Rechtsstaates…

Bis zum nächsten Mal, haut rein!

2 thoughts on “Schattenwelten

  1. Die Unterwelt-Sachen sind ähnlich wie in Japan Anfang der 90er Jahre. Pachinko war das Glücksspiel dort, ebenfalls mit Sachgewinnen und Pfandhäusern.

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